- Medizinnobelpreis 1920: Schack August Steenberg Krogh
- Medizinnobelpreis 1920: Schack August Steenberg KroghDer dänische Physiologe wurde für die Entdeckung des Regulationsmechanismus der Blutkapillaren und seine Arbeiten über den Gasaustausch bei der Atmung ausgezeichnet.Schack August Steenberg Krogh, * Grenå (Dänemark) 15. 11. 1874, ✝ Kopenhagen 13. 9. 1949; 1897-1908 physiologische Ausbildung im Labor von Christian Bohr, 1910 Gründung des zoophysiologischen Labors; Krogh war ein Meister experimenteller Präzision und der Quantifizierung physiologischer Messparameter, er vertrat innerhalb der Physiologie die physikalisch-mathematisierende Richtung.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Gewebe des Körpers sind auf die Zufuhr von Sauerstoff angewiesen, um durch den ihnen eigenen Stoffwechsel in Verbindung mit der Aufnahme von Nährstoffen Energie bereitzustellen. Sauerstoff und Nährstoffe werden über die Lungen beziehungsweise die Verdauungsorgane aufgenommen und über dem Kreislauf den Geweben zugeführt. Das Transportmedium Blut passiert dabei die Arterien, Arteriolen und die Kapillaren, die feinsten Blutgefäße. Auf die Art, wie Sauerstoff und Nährstoffe aus den Kapillaren in die Gewebe gelangen, werden auch nicht benötigte Stoffwechselprodukte, darunter Kohlendioxid, von den Geweben in die Kapillaren abgegeben und über die Ausscheidungsorgane beziehungsweise die Lungen an die Umwelt abgegeben.Kroghs Dissertation von 1903 widmete sich dem Mechanismus der äußeren Atmung beim Frosch und unterzog ihn einer teilweise neuen Darstellung. Die überkommene Lehrmeinung, dass es sich dabei durchweg um aktive Sekretionsprozesse analog zu denen bei Drüsen handle, bemühte Krogh nur noch zur Beschreibung der Sauerstoffaufnahme über die Lungen. Den Kohlendioxidtransport über die Haut konnte Krogh mittels Diffusion erklären.1907 erschienen gleich sieben Arbeiten, die »sieben Teufelchen«, zu diesem umstrittenen Thema, in denen die Sekretionstheorie für die Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe endgültig widerlegt und der äußere Gasaustausch allgemein durch passive Diffusion erklärt wurde. Die Physiologin Marie Krogh war entscheidend an diesen Forschungen beteiligt.Der Weg zum NobelpreisKroghs Arbeiten nach 1910 setzten in gewisser Weise die Arbeiten der großen frühneuzeitlichen Physiologen William Harvey und Marcello Malpighi fort, auf die die Entdeckung des Prinzips vom großen Blutkreislauf (1628) und der Kapillaren (1661) zurückgeht. Andererseits ergänzen sie die Arbeiten Jakob Henles, der 1841 die glatte Gefäßmuskulatur nachwies, Claude Bernard und seiner Schüler, die 1851/52 gefäßerweiternde und -verengende Nerven entdeckten, und der Schule um Carl Ludwig, die das Zusammenspiel dieser Strukturen zur Aufrechterhaltung eines geregelten Kreislaufs in einem Modell beschrieben hatte. Dieses Modell war als »vasomotorisches System« in der Physiologie bis ins beginnende 20. Jahrhundert vorherrschend: Kapillaren wurden mit passiven, elastischen Röhren verglichen, deren Weite sich den Druckverhältnissen in den vorgeschalteten Arteriolen anpasste. An den Arteriolen allein sollten die Mechanismen der Erweiterung und Verengung auftreten.Kroghs Arbeit führte gemeinsam mit J. Lindhard zu einer Überprüfung dieses Modells. Zunächst entdeckte er, dass der Sauerstoffverbrauch des Muskels einen zehn- bis 15-fachen Anstieg unter Belastung erfährt. Wie konnte die Sauerstoffversorgung des Muskelgewebes mittels des klassischen Röhrenmodells bei Annahme eines Diffusionsvorgangs erklärt werden? Entweder wäre die Sauerstoffversorgung im Ruhezustand ausreichend — dann würde schon bei einem zehnfachen Anstieg des Gewebsstoffwechsels der Nachschub an Sauerstoff aus dem Blut bei weitem nicht ausreichen; oder die Ruheversorgung wäre so hoch angesetzt, dass sie auch für den Fall maximaler Belastung des Muskels dessen gesteigerten Bedarf an Sauerstoff decken würde — was einer Überschussdurchblutung im Ruhezustand gleichkäme. Krogh formulierte seine Gedanken zu diesem Konflikt wie folgt: Ein gewisser Anteil der Kapillaren des ruhenden Gewebes stellt gleichsam »schlafende Gefäße« dar, die aber bei Steigerung der Muskelaktivität und der damit verbundenen Abnahme des Sauerstoffgehalts im Gewebe aktiviert werden könnten. Zur Prüfung dieser Hypothese wurden die notwendigen quantitativen Bestimmungen vorgenommen: Vier neuartige Präzisionsgeräte wurden eigens von Krogh entwickelt, um die Diffusionskonstante von Gasen in Geweben zu messen. Wesentlich waren auch die Kapillardichtemessungen durch Tuscheinjektion in die Gewebsgefäße mit anschließender Fixierung des Gewebes und Auszählung der markierten Kapillaren unter dem Mikroskop. Es ergab sich, dass die Kapillardichte durchweg an die Anforderungen des unterschiedlich stoffwechselaktiven Gewebes angeglichen war. Schließlich offenbarte das theoretische Modell des Mathematikers Agner Karup Erlang nach Einsetzen bekannter Daten und unter Annahme des klassischen Röhrenmodells eine Überversorgung der Gewebe mit Sauerstoff. Dies veranlasste Krogh zu einem dritten Schritt, der direkten Beobachtung von Kapillaren an der Froschzunge. Diese war wegen ihrer Durchsichtigkeit ein geeignetes Präparat für die Kapillarmikroskopie. Durch lokale Reizung des Gewebes mit feinen Glasnadeln konnte Krogh eine selbsttätige Erweiterungsfähigkeit der Kapillaren aufdecken. Dieser Mechanismus bestätigte Kroghs Ausgangshypothese. Mit seiner Forderung einer kapillären Selbstregulation der Sauerstoffversorgung in Geweben überzeugte Krogh die damalige Wissenschaftswelt.Angewandte Forschung Kroghs1922 hielt sich Krogh in den USA auf, wo Wissenschaftler mit der Darstellung des soeben entdeckten Insulins beschäftigt waren. Zurück in Dänemark organisierte Krogh zusammen mit dem Mediziner Hans Christian Hagedorn die Gründung des »Nordisk Insulinlaboratoriums«. Zugleich bemühte sich Krogh erfolgreich um die Verbesserung der Insulinreindarstellung.Kroghs ausgeprägter Konstruktionsgabe sind folgende Geräte zu verdanken: Das Krogh'sche Mikrotonometer, sein hochpräziser Apparat zur Mikrogasanalyse, der Mikroklimatograf, sein Spirometer und das elektromagnetisch gesteuerte Fahrrad-Ergometer. 1949 betraute die englische Regierung Krogh mit der Aufgabe, mehr über den Heuschreckenflug in Erfahrung zu bringen, um der Heuschreckenplagen Herr zu werden. Krogh konstruierte sein Heuschreckenkarussell.Kroghs vielseitige Beiträge zu physiologischen Erkenntnissen bahnten Wege zur modernen Form der medizinischen Beatmungstechnik und zu dem Verfahren der »Unterkühlung« von Organen in der Herz- und Transplantationschirurgie. Die moderne Stoffwechsel- und Arbeitsphysiologie und die Erforschung der Mikrozirkulation knüpfen an sein Schaffen an. Sein Wirken in der Zoologie reicht bis zu einem neuen Verstehen meeresökologischer Zusammenhänge. Krogh nahm damit Fragestellungen unserer Zeit vorweg.G. Müller-Strahl
Universal-Lexikon. 2012.